JuCo-Chronik 1967 - 1976

1967

Der Chor wurde am 23.11.1967 gegründet. Dazu der Artikel aus der Stuttgarter Zeitung:

Vom Volkslied bis zum Gospelsong
Mit 70 Jung-Stuttgartern wurde der Jugendchor gegründet

Beatschuppen und Diskotheken sind für die Teens und Twens heute attraktiver als Heimatgesangvereine. Erwachsenenchöre bekommen darum keinen Nachwuchs mehr. Auf die Idee, wie man dieser Misere am besten abhelfen könnte, kam Adolf Haiss, Vorsitzender des Gaus Stuttgart (Wilhelm-Hauff-Gau) im Schwäbischen Sängerbund, vor einem halben Jahr. Mit 5000 Flugblättern, viel Begeisterung und Engagement warb er in Stuttgarts Schulen und Gesangvereinen für seinen neuen Plan: Die Gründung eines modernen Jugendchores, aus dem man dann später einmal Sänger für Erwachsenenchöre nehmen kann. Was dabei herausgekommen ist, sah man am Donnerstagabend im Schubertsaal der Liederhalle.

70 junge Stuttgarter, 50 Mädchen und 20 Buben zwischen 14 und 18 Jahren, hatten sich dort eingefunden, um bei der Gründung ihres Jugendchors dabeizusein. Daß es bei diesem Chor nicht um verblichene Burschenherrlichkeit oder Lagerfeuerromantik geht, merkten die 70 gleich am ersten Abend. Der junge aktive Chorleiter, Studienrat Späth vom Zuffenhausener Gymnasium, übte und sang mit seinen neuen Chormitgliedern, unterstützt von den Schülern des Zuffenhausener Gymnasiums, genauso Béla-Bartók-Lieder, das Spiritual I got a robe wie das bekannte Arme welsche Teufli. Auch künftig sollen die jungen Sänger das Repertoire nach ihren eigenen Wünschen zusammenstellen.

Chorleiter Späth denkt dabei an Blues, Spirituals, an spanische Tanz- wie an russische Wiegenlieder und an das deutsche Fahrtenlied. Und wenn die 70, die nun jeden Donnerstag von 17.30 bis 19 Uhr im Jugendhaus Ost, in der Gerokstraße 7, zum Üben und Singen zusammentreffen. sich als besonders sangesfreudig und begabt erweisen, will er an eine Jugendoper oder an ein Musical gehen. Nebst Stirnmausbildung und Vom Blatt Singen stehen auf dem Programm des Jugendchors auch Tanzpartys, Ausflüge sowie Konzert- und Opernabende. Wer Lust hat, kann sich jetzt noch bis zu Weihnachten zum Jugendchor melden. Die Mitgliedschaft ist beitragsfrei. ng

Am Dienstag, den 7. November 1967 erschien ebenfalls in der Stuttgarter Zeitung folgender Aufruf:

Erste Singprobe im November
Gründung eines Stuttgarter Jugendchores

Die Sänger klagen über den Nachwuchs in ihren Chören. Die jungen Leute, so sagen sie, wollen weder musizieren und noch weniger singen; Beat-Schuppen und Schallplatten sind ihnen lieber als Vereinsmeierei. Doch gilt diese Verallgemeinerung nicht für alle, und so haben sich der Gau Stuttgart (Wilhelm-Hauff-Gau) des Schwäbischen Sängerbundes und sein einfallsreicher Vorstand Adolf Haiss etwas ausgedacht, das sicher das Interesse vieler Jugendlicher finden wird. Noch im November soll die erste Probe eines Stuttgarter Jugendchores stattfinden, eines Chores von Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren, die an Musik und einer netten Gemeinschaft Gefallen finden können. An all diese Freunde hat der Gau Stuttgart in den Schulen und Jugendverbänden in den vergangenen Wochen einen Aufruf verteilt, den Stadtdirektor Dr. Schumann in einem Schreiben unterstutzt und gutheißt. Dieser Stuttgarter Jugendchor wird Bestandteil des Schwäbischen Sängerbundes, womit die Voraussetzungen für eine Unterstützung des Chores durch Stadt, Land und Bund gegeben sind. Das Repertoire sollen die jugendlichen Sänger weitgehend selbst auswählen und bestimmen. Deutsche Fahrtenlieder, spanische Tanz- und russische Wiegenlieder sowie Spirituals und Blues - alles ist erlaubt. Später soll sogar die Aufführung einer Jugendoper folgen. Außerdem wird den Jugendlichen eine Einführung in das Vom-Blatt-Singen sowie Stimmbildung gegeben. Tanzveranstaltungen, Ausflüge, Konzert- und Opernbesuche sollen die Arbeit etwas auflockern, doch so streng wird es bei den wöchentlichen Singproben (voraussichtlich in der Zeit von 17.30 Uhr bis 19 Uhr an einem noch zu bestimmenden Wochentag) schon nicht zugehen. Die Mitgliedschaft ist natürlich beitragsfrei. Mit Erreichen des 20. Lebensjahres scheidet der Sänger aus dem Jugendchor aus und kann, so er will, nach freier Wahl einem Erwachsenenchor beitreten, von denen es im Gau nicht weniger als 64 mit 3800 Sängen gibt. Junge Interessenten wollen sich an Adolf Haiss, Stuttgart S, Olgastraße 51 A, wenden. -tz-

Die Abbildung zeigt das Flugblatt, mit dem für den Chor geworben wurde.

1968

Schon seit den Anfangsjahren hatte der Stuttgarter Jugendchor Auftritte auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt. Eine Tradition, die auch 30 Jahre später nicht aus dem Chorleben wegzudenken ist.

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1969

Adolf Haiss und der Stuttgarter Jugendchor
1969, die Zeit des kalten Krieges, kein Politiker verschwendete damals auch nur den Hauch eines Gedankens an Wiedervereinigung. Berlin, die konspirative Hauptstadt von DDR und BRD durch eine Mauer geteilt. Im südlichen Teil der BRD gab es eine verschlafene Landeshauptstadt bewohnt von Menschen, die eine alte Rebsorte vinifizierten, den Begriff Kehrwoche als Aufforderung betrachten, sich mit Besen und Müllschaufel auf der Straße herum zu treiben und zudem noch einen Dialekt sprechen, der, legt man Berliner Maßstäbe an, als unverständlich bezeichnet werden kann. In dieser Stadt gab es einen Angestellten der Württembergischen Hypothekenbank Adolf Haiss. Er wurde von seinem Chef dafür abgestellt, sich um die kulturellen Belange der Stadt, insbesondere den Chorgesang zu kümmern.

Adolf Haiss beschloß, als das vorsitzende Mitglied des Stuttgarter Sängergaues - Willhelm Hauff Gau im schwäbischen Sängerbund 1894 e.V., einer neuen Form von Chor bei der Niederkunft als Geburtshelfer mit dienstbaren Händen zu helfen. Das junge Pflänzchen, entbunden im Herbst 1967, bekam den Namen Stuttgarter Jugendchor und wurde einer musikalisch versierten, männlichen Amme an die Brust gelegt. Spät, hieß der Musiker, war Lehrkörper an einem Gymnasium in Zuffenhausen, dessen Traum ein 190 Mercedes Diesel mit Heckflossen war. Durch diesen Nebenjob konnte er sich diesen erfüllen und fuhr stolz zu den wöchentlichen Chorproben vor. Das Pflänzchen, der Stuttgarter Jugendchor, wuchs heran und nach zwei Jahren verlangte der Lehrkörper eine musikalische Herausforderung. Recherchen der Sekretärin von Adolf Haiss ergaben, daß in West-Berlin ein Chor mit dem Namen Junger Chor Berlin existierte.

Ein Karton voll mit T-Shirts und Kugelschreibern verbunden mit dem Wunsch eines gemeinsamen musikalischen Schlagabtausches wurde nach West-Berlin per Luftfracht entsandt mit der Bitte um Rückantwort. Die Bitte fand in Berlin Anklang und die Antwort war positiv. Das Konzert in Berlin, es fand statt. Der Stuttgarter Jugendchor mußte sich mit einem guten zweiten Platz begnügen. Die anschließende Zusammenkunft der Sänger zum Grand Boufer mit Nudelsalat und französischem Landwein erwies sich als die Wiederholung der sprachlichen Verwirrung von Babylon. Der schwäbische Dialekt wollte mit dem Berliner Hochdeutsch absolut nicht harmonieren. Chorleiter Spät, der Mercedes Benz fahrende Lehrkörper vom Gymnasium Zuffenhausen, nahm nach diesem, für ihn enttäuschenden Ereignis seinen Hut und verließ den Stuttgarter Jugendchor aus eigenem Entschluß. Der Stuttgarter Jugendchor überlebte diese Krise und wurde von einem Dirigenten übernommen, der das musikalische Potential zu nutzen wußte.

Ein damals 19jähriger Teenager

1970

Sprechgesänge: Die frühen Siebziger, der Stuttgarter Jugendchor, so damals sein Name, unter der gestrengen, selten gerechten Herrschaft des Adolf Haiss. Er, der erste Oberaufseher des schwäbischen Sängerbundes, selbst gewählter König des Stuttgarter Jugendchores. Er, der Monarch, führte seine Untertanen nach England.

Die Taktik: Eroberung der Insel.

Die Waffe: Deutsches Liedgut.

Lady Di hatte zu der Zeit eine ABM-Stelle als Kindergärtnerin und ließ die Kids den unterwürfigen Reh-Blick üben. Information aus zweiter Hand! Zurück zu König Adolf, den untertanen und der dritten Person, dem Dirigenten. Ein durchgeistigter Leiter der Stuttgarter Musikschule. Sein Name: Steiner! Sollten einige Leser meinen, Steiner sei die Reinkarnation eines deutschen Helden, so sahen sie zu viele Kriegsfilme. Sollten andere Leser meinen, der Vorname dieses Menschen wäre Rudolf, so haben sie sich als Anthroposophen geoutet. Der Steiner, musikalisch innovativ, furchtlos dem Patriarchen ins Antlitz blickend. Er mengte rhythmisch anspruchsvolle Sprechgesänge, im folgenden Text als R.A.S. bezeichnet, unter das konventionelle Chorrepertoire, was nicht als musikalisches Verbrechen interpretiert werden darf. Die untertanen, sie fanden Gefallen daran mit der Zunge zu schnalzen und Reime zu intonieren, die selbst Ernst Jandl beflügelt hätten ein neues Lautgedicht zu schreiben.

Der Marsch: Die rollenden Räder der Deutschen Bundesbahn mit den ihr eigenen zeitlichen ungereimtheiten, beförderte die singende Armee zur Kanalküste. Die Fahrt auf dem Kanal, stürmisch war sie. Manche meinten die Seekrankheit mit vollem Magen bekämpfen zu können. Das teuer erstandene Steak mit Mintsouce, damals noch BSE-frei, landete in der Dünung der Nordsee und hat einige Plattfische, Heringe, Dorsche, vielleicht auch den Quoten-Katzenhai gesättigt .

Der Waffengang: In Dover wartete ein konspirativer Bus mit englischem Fahrer, beide bestochen vom schwäbischen Sängerbund.

Der Auftrag des Duos: Transport der Germanen zum Schlachtfeld, dem Sängerwettstreit zu Middlesborough. Ein Kampf britischer Art, auf englischem Rasen, wegen unbeständiger Witterung in einem Zelt abgehalten. Die Truppe aus Stuttgart, sie siegte nicht. Der Grund: Die Literatur war von der Festivalleitung vorgegeben und das waren keine R.A.S.

Trotz Niederlage: Berührungspunkte mit englischen Menschen. Man kämpfte mit süßer Limonade und sehr weichen Sandwiches.

Das Angebot: In Middlesborough stand ein roter Doppelstockomnibus bereit. König Adolf rechts hinter dem Fahrer. Auf der linken Seite im Heck der leitende Musiker. Die untertanen im ersten Stock, rechts und links an den Fenstern. Das Ziel: Eine Kirche mit Publikum, die mit sakralem Gesang beglückt und mit R.A.S. konfrontiert werden sollten.

Das Attentat: Blasphemie keuchte der Motor des Busses und begann einen Hungerstreik. König Adolf rechts auf seinem Platz, knapp hinter dem Fahrer, sah seinen Zeitplan durcheinander gebracht und blickte Hilfe suchend auf seine Armbanduhr. Der musische Leiter im Heck links, durch die wiegenden Bewegungen inspiriert, ein neues R.A.S zu komponieren, sah ratlos auf den hilflos blickenden König. Das singende Personal links und rechts im Obergeschoß fragte sich, was da denn los wäre. Es sei hiermit betont, daß der Lenker des Busses alles in seiner Macht stehende getan hat, den Bus zu ermuntern, seine Fahrt fortzusetzen. Doch gegen die Indisposition einer Startvorrichtung ist selbst der beste Chauffeur machtlos. Dieser launische Motor, er hatte nicht mit den unkonventionellen Methoden der untertanen gerechnet. Sie stiegen aus und gedachten der Menschen, die nun auf die R.A.S. verzichten sollten.

Ein Wunder geschieht: Das musikalische Fußvolk positionierte sich am Heck des Busses und unter rhythmischem Einsatz der Hände von Steiner, wurde der Bus angeschoben. Der Motor, in Ehrfurcht vor so viel unkonventioneller Energie, beschloß seinen Startmechanismus zu ignorieren und beendete seinen Hungerstreik. Das Konzert fand statt. Die sakrale Chorliteratur wurde vom Publikum mit englischem Applaus bedacht. Der Höhepunkt der musikalischen Darbietung aber, die R.A.S. wurden mit endend wollenden Ovationen honoriert.

Kurt Wagner

1971

Viva la musica!
30 Jahre - eine stolze Zeit - dazu meine besten Grüße und Wünsche.
Jubiläen können der Erinnerung gewidmet sein, aber sie sind auch dazu da, das Fortbestehen für die Zukunft zu sichern.

Erinnerungen

ImageAm 11.02.1971 übernahm Herbert Bähr den Stuttgarter Jugendchor, eigentlich nur vorübergehend, doch daraus wurden 19 Jahre intensiver Chorarbeit. Mit viel Energie und Elan gelang es ihm immer wieder den erreichten Standard zu halten, trotz ständiger Fluktuation, die ein Chor eben mit sich bringt.

Mit breit angelegtem Repertoire von Klassik über Volkslieder, ausländische Folklore bis hin zu moderner Popmusik hat der Chor seine eigene Note.

Um musikalische Botschaften zur Völkerverständigung weiterzugeben bereiste der Chor unter anderem die Länder Israel, Finnland, USA, England, Australien, Schweden mit Besuchen in den jeweiligen Partnerstädten. Weitere Aktivitäten, die herausragten, waren Chorfreizeiten, Stadt- und Staatsempfänge der Landesregierung, Konzerte in Kirchen, Altersheimen und Krankenhäusern.

Höhepunkt eines jeden Jahres war das Weihnachtskonzert in der Stiftskirche und später in der Johanneskirche, welches mit viel Engagement, Eifer und vor allem Freude geplant und aufgeführt wurde.

Im Jahr 1989 übergab Herbert Bähr den Chor an den damaligen Vize-Chorleiter Bernd Noll. Daß auch heute noch die Jugend mit Musik, Reisen und geselligem Beisammensein motiviert werden kann, bestätigt daß der Junge Chor Stuttgart sein 3Ojähriges Bestehen feiern kann und soll!

Von Herzen wünsche ich dem Chor mit seinem Chorleiter weiterhin viel Erfolg bei seinen musikalischen und sonstigen Aktivitäten.

In Verbundenheit

Margaretha Bähr

1972

19.-26.Mai 1972
Tja, ein Vierteljahrhundert später wühle ich in meinem Juco-Fundus und sehe uns alle wieder gespannt und erwartungsvoll abends am Stuttgarter Karlsplatz stehen: Die erste große Konzertreise. Jeder vorbeifahrende Bus wurde freudig erregt mit den Worten Des isch er! versehen. Jeder kruschtelte noch aufgeregt nach dem Zettel mit den Verhaltensmaßregeln, dem Programmablauf, der Checkliste, und dann war es auch schon soweit. Wir waren unterwegs! Rundbrief vom 6. Mai: "Ausrüstung: Jeder Reiseteilnehmer hat mitzubringen: 1 Eßbesteck, 1 Leintuch und 1 kleiner Kissenbezug (gereinigte und desinfizierte Decken sind vorhanden). Die Männer müssen aber alle je 1 Luftmatratze mitbringen, damit die vorhandenen Betten unseren Damen zur Verfügung stehen können."

Doch zurück zum eigentlichen Reiseverlauf: Wir folgten einer Einladung des schwedischen Chores Chorus Canores nach Landskrona, wo wir in einem typisch schwedischen Feriendorf am Meer untergebracht wurden. Für uns etwas völlig Neues, eigenverantwortlich ein Häuschen bewohnen, einfach super! Unser anfänglicher Übermut wurde in den nächsten Tagen jedoch jäh gedämpft. Eine Vielzahl von Auftritten in vorwiegend psychiatrischen Kliniken, Mentalkrankenhäusern, wechselte sich mit Aufführungen in Einrichtungen für Körperbehinderte und Altersheimen ab. Gott sei Dank wurde diese psychische Belastung immer wieder durch Ausflüge und Auftritte in Firmen und einer Werft wettgemacht. Unser Mittagessen ersangen wir in den Kantinen der jeweiligen Einrichtungen. Einen für uns recht blamablen Vorfall möchte ich Euch an dieser Stelle nicht vorenthalten. Während einer Führung durch das berühmte Tycho-Brahe-Museum erspähten einige besonders Hungrige das für uns in einem Nebenraum angerichtete Kalte Buffet. Wer den Startschuß zur Erstürmung desselben gegeben hatte, ließ sich im Nachhinein nicht mehr genau klären. Als jedoch in einem feierlichen Akt das Buffet eröffnet werden sollte, stand ein betretener Juco neben den kahlgegessenen Tischen und ließ die aufmunternde Guten Appetit-Rede über sich ergehen.

Beide Chöre bestritten zusammen zwei herausragende Konzerte, eines im Schloßpark und eines in der Sofia Albertina Kirche. Das erste weltliche Konzert war für den Juco fast so etwas wie eine Offenbarung. Wir kamen mit unserem eher klassischen Repertoire sehr gut an und erhielten großen Applaus. Doch der Partnerchor bot uns damals bereits schon so etwas wie eine Show mit Tanz. Aber auch die schönste Reise findet mal ein Ende. Wir fuhren unter tränenreichen Abschiedsworten, vielen unbezahlbaren Eindrücken und neu geschlossenen Freundschaften wieder ins Schwabenländle zurück. So stehe ich nun in Gedanken wieder auf dem Karlsplatz in Stuttgart und sehe den leeren Bus davonfahren. Danke an alle, die uns Jugendlichen damals diese Reise ermöglicht haben.

Dagmar Knopp

1973

In diesem Jahr begann meine aktive Zeit als Chorsänger im Juco, und ich war für einige Jahre jüngstes männliches Chormitglied. Der erste Auftritt, den ich als Sänger miterlebte, war ein offenes Volksliedersingen mit Frühlingsliedern im Gustav-Siegle-Haus. Im April besuchte uns für eine Woche der Chorus Canores, ein Jugendchor aus Landskrona/Schweden, bei dem der Juco ein Jahr zuvor zu Gast gewesen war. Wir verbrachten einige nette Tage und Abende mit den jungen Schwedinnen und Schweden und führten nebenbei auch ein gemeinsames Konzert auf.

ImageMitte Juli folgte eine Chorfreizeit in der Jugendherberge Kirchheim, wo wir für die bevorstehende Konzertreise nach Liverpool und St. Helens, Partnerstadt von Stuttgart, probten. Am 17. Juli stiegen wir in den Bus, der uns für eine Woche begleitete. Nachts und bei heftigem Seegang überquerten wir den Ärmelkanal, was, verbunden mit viel Whisky, einigen Chorsängern kräftig auf den Magen schlug. Am frühen Morgen strahlten dann die Kreidefelsen von Dover, für einige noch viel zu hell, in der Sonne. Nach kurzem Aufenthalt in Canterbury fuhren wir weiter nach London, wo uns leider nur ein halber Tag für sightseeing blieb. Danach ging es unserem Ziel Liverpool entgegen. Die Unterbringung war entgegen unseren Erwartungen (Massenlager) super, denn jede/r bewohnte ein Einzelzimmer in einem Studentenwohnheim. Unsere drei Konzerte im Zelt der Liverpool Show, sowie in den Konzertsälen der Universität und des Rathauses wurden musikalisch von einer Solistin, einem Gitarristen und einem Schlagzeuger begleitet. Vor und nach unseren Auftritten nahmen wir an britisch-konservativen Empfängen wie beim Oberbürgermeister von Liverpool teil, lernten aber auch die lässige Atmosphäre englischer pubs und Clubs kennen. Da die meisten Chormitglieder mit der damaligen Chorkleidung unzufrieden waren, traten wir in der zweiten Hälfte der Konzerte immer in Popkleidung auf (Latzhosen, bunte T-Shirts, Sonnen-brillen...), was den Songs und unserem Stil auch viel eher entsprach.

Während der letzten beiden Augustwochen fand eine Freizeit in Toblach/Südtirol statt, und viele Chormitglieder waren hier wieder dabei. Im Herbst gab es zwar keine Auftritte, trotzdem mußten wir kräftig proben, denn in der Weihnachtszeit waren wir stark gefordert, wie die Auflistung zeigt:

1./2.12.

Chorfreizeit in Kirchheim

5.12.

Auftritte in Ludwigsburg Breuningerland

7.12.

Auftritt Kursaal Bad Cannstatt

15.12.

Offenes Weihnachtsliedersingen, Stuttgart Kleiner Schloßplatz

20.12.

Singen Weihnachtsmarkt auf der Rathaustreppe

21.12.

Auftritt bei Weihnachtsfeier Werner & Pfleiderer

Dieses Jahr und insbesondere die Chorreisen stellten für mich als newcomer einen tollen Einstieg sowohl in musikalischer als auch touristischer Hinsicht dar, wobei auch die chorinternen Kontakte während der Reisen bestens geknüpft und gepflegt werden konnten.

Andreas Bähr

1974

Ich war erst relativ kurz Mitglied im Stuttgarter Jugendchor, und so ist der erste große Auftritt ein Schlüsselerlebnis. Es ging nach Göppingen. Die Mädchen hatten neue Röcke bekommen, toll, lang blau mit weiß-gelben Margeriten, unten eine Bordüre. Dazu trugen wir weiße Blusen. Als Auftritt war eine kleine Show mit Bewegung geplant. Helga sang Amazing Grace, und das war der Erfolg. Die Halle tobte und schrie Zugabe. Nach dem Konzert fiel uns der Bürgermeister von Göppingen hinter der Bühne buchstäblich um den Hals. Es war eine tolle Stimmung. Als es wieder Richtung Stuttgart ging, tanzten wir barfuß im strömenden Regen um den Bus, und dies in langen Röcken. Das Ganze war vor fast einem Vierteljahrhundert, eine tolle Erinnerung!

Fossi Regina Weißkopf, geb. Berkenheger

1975

Dem Jungen Chor danke ich und wünsche ihm alles Gute, vor allem andauernde Jugend. Dieser Wunsch ist natürlich utopisch, was die einzelnen Mitglieder anbelangt. Wir alle werden älter, die Alternative hierzu ist im übrigen schlechter. Ich war im Jahre 1975, als der Chor bei meinem Amtsantritt als Oberbürgermeister gesungen hat, auch noch jünger und gerade noch geeignet, um jung genannt zu werden, jedenfalls von älteren Menschen. Aber einem Jungen Chor ist die dauernde Aufrechterhaltung der Jugend möglich, wenn er immer wieder neue Sänger und Sängerinnen bekommt und wenn die alten ihm verbunden bleiben.

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Es geschieht im Zeitalter des sogenannten Individualismus selten, daß ein freies Zusammenwirken vieler Menschen ein so harmonisches und schönes Ergebnis hat, wie dies in einem Chor der Fall ist. Das gelingt nicht ohne Können und Fleiß. Es gelingt auch nur, wenn jeder seinen Beitrag als Teil des Ganzen auffaßt, und zwar ohne als Persönlichkeit im Kollektiv zu verschwinden.

Ich habe immer Chöre und Orchester bewundert wegen des Zusammenklangs, der auch in der Musik die These bestätigt: Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile. Besonders hat mich gefreut, daß der Chor Jahr für Jahr unseren früheren jüdischen Mitbürgern die gute Erinnerung an das schwäbische Liedgut vermittelt.

Diese tilgt die bösen Erinnerungen an das Dritte Reich nicht aus, aber sie tröstet doch ein bißchen.

Alles Gute für die kommenden Jahre für den Jungen Chor.

Manfred Rommel
Oberbürgermeister a.D.

 

1976

Das Jahr 1976 stand von Anfang an voll im Zeichen der USA-Reise. Als musikalische Botschafter reisten wir in die Partnerstadt St. Louis, Missouri, zur 2OO-Jahr-Feier der USA. Vor dieser großen Reise waren jedoch noch andere Chortermine zur Aufbesserung der Reisekasse wahrzunehmen. Der März bescherte uns einen Auftritt beim Bundeswehr-Ball in Böblingen, bei dem sich sogar der ranghöchste NATO-General als Dirigent versuchte. Natürlich hatte er uns nicht so gut im Griff wie seine Truppen! Schon eine Woche später bestritten wir mit dem Linzer Mädchenchor ein gemeinsames Konzert.

Die Deutsch-Amerikanische Freundschaftswoche begann am 9. Mai mit einem Festakt im Stuttgarter Staatstheater und im Landtag. Wir traten in vom Staatstheater gestellten Kostümen, Uniformen und Perücken aus der Gründungszeit der Vereinigten Staaten auf, was für uns natürlich ein tolles Erlebnis war.

In Kirchheim folgten Konzert und Chorfreizeit, um uns in Topform für die Reise zu bringen. Zu diesem Zeitpunkt etwa trat der damalige erste Vorsitzende, Adolf Haiss, von seinem Posten zurück, und Walter Burkhard, bisheriger Vize, übernahm das Amt. Einen warmen Geldregen bescherte uns Ende Mai eine Aktion am Bärenschlößle, bei der wir nur am Rande sängerisch, aber dafür würstlesbratend und bierzapfend, auftraten.

Die bevorstehende USA-Reise hatte eine gewaltige Auswirkung auf die Mitgliederzahl; laufend kamen gute und weniger begnadete Sänger/innen hinzu, die gerne nach Amerika mitreisen wollten. Die Mitgliederliste umfaßte zu dieser Zeit ungefähr 80 Sängerinnen und Sänger, lediglich 65 Leute konnten mitreisen.

Am 26. Juni war es dann endlich soweit: Der JUCO flog für 17 Tage nach St. Louis. Bei den Gastfamilien erhielten wir die Gelegenheit, den american way of life kennenzulernen. Es handelte sich um eine echte Konzertreise, denn wir hatten in 17 Tagen 21 Auftritte und nur wenige ganz freie Tage. Trotzdem blieb Zeit für Besichtigungen und tolle Ausflüge.

Am 4. Juli war ganz Amerika ein einziges Fest und wir feierten kräftig mit. Für viele Chorsänger stellte diese Reise sicherlich den Höhepunkt ihrer aktiven Zeit im Chor dar, nicht zuletzt deshalb, weil Amerikareisen damals noch nicht ganz so selbstverständlich waren wie heutzutage. Auch der Chor insgesamt zehrte lange Zeit von den Eindrücken dieser Reise.

Andi Bähr